Low Code und No Code

Software aus dem Baukasten

Mit Low-Code- und No-Code-Plattformen entwickeln auch IT-Laien produktive Geschäftsanwendungen. Das ist zwar nicht das Ende des professionellen Programmierers, dennoch sollte auch er sich mit den entsprechenden Tools auseinandersetzen.

01.06.2022Text: tnt-graphics0 Kommentare
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Bis 2025 werden 70 Prozent der Unternehmens-Anwendungen mit Low-Code- und No-Code-Plattformen entwickelt – eine Verdreifachung gegenüber 2020. So prognostizierte es Milind Govekar, Analyst des US-Marktforschungsinstituts Gartner, am letztjährigen Gartner IT Symposium in Barcelona. Low-Code und No-Code gewinnen im Unternehmensalltag zunehmend an Bedeutung und würden für viele Menschen am digitalen Arbeitsplatz schnell zur Technologie der Wahl. Mit dieser Einschätzung ist Govekar auch nicht allein: Bereits 2017 proklamierte der ehemalige Github-CEO Chris Wanstrath ebenfalls, dass die Zukunft des Programmierens darin liege, überhaupt nicht mehr Code zu schreiben. Doch: Warum sind Low-Code und No-Code so gefragt? Wo liegen die Grenzen der beiden Entwicklungsansätze? Und: Wie beeinflussen sie die Rolle des ausgebildeten, «traditionellen» Softwareentwicklers?

Was ist Low Code und No Code?

Bei Low Code und No Code handelt es sich um neue Ansätze zur Software-Entwicklung: Statt Anwendungen mit einer Programmiersprache in Code zu schreiben, bieten Low-Code- und No-Code-Plattformen eine visuelle Oberfläche, über die Anwendungskomponenten verschoben, verknüpft und in Abhängigkeit zueinander gestellt werden. Mit No-Code-Plattformen werden Anwendungen ganz ohne Code erstellt – dafür ist aber auch der Funktionsumfang begrenzt. Low-Code-Plattformen bieten dagegen die Möglichkeit, zusammengestellte Anwendungen nach wie vor durch manuellen Code zu ergänzen und zu individualisieren – etwa zur Steuerung bestimmter Parameter innerhalb der Anwendung.

Der modulare Ansatz von Low-Code- und No-Code-Plattformen bringt Software-Ingenieuren nur in wenigen Szenarien Vorteile, etwa bei der Konfiguration einer Software oder beim Definieren von Workflows. Vielleicht auch für die schnelle Erstellung eines Prototypen, was das Entwicklungstempo und die Bereitstellung von Applikationen sowie das Optimieren von Arbeitsabläufen erheblich beschleunigt. Vor allem Anwender profitieren von Low Code und No Code: Dank ihrer intuitiven Bedienung über eine grafische Oberfläche und dem Baukasten-Prinzip sind nun auch Mitarbeitende ohne jegliche Programmierkenntnisse in der Lage, produktiv nutzbare Unternehmensanwendungen zusammenzustellen. Hier ist auch oft vom «Citizen Developer» die Rede, sprich: Mit ihrem Domänenwissen entwickeln Endbenutzer aus Marketing, Produktentwicklung, Fertigung, Controlling etc. die Anwendungen, die sie für ihren Berufsalltag benötigten, gleich selbst, ohne dafür IT-Kenntnisse besitzen zu müssen.

Zusätzlich bieten Low-Code- und No-Code-Plattformen Unternehmen ohne eigene IT-Kompetenz die Möglichkeit, ihr Geschäftsmodell zu erweitern. So können Design-Agenturen Infomationsportale und Onlineshops für ihre Kunden selber bauen und betreuen, ohne selbst Software-Ingenieure einzustellen oder mit einem Entwicklungspartner zusammenzuarbeiten.

A fool with a tool is still a fool

So vielversprechend Low Code und No Code auch klingen: Die beiden Entwicklungsmethoden haben auch Nachteile. Zwar eignen sie sich für einfachere Anwendungsfälle wie das Erstellen von Websites, Onlineshops oder simpler Mobiler-Apps. Bei komplexen, datenlastigen Anwendungen stossen Low Code und No Code aber schnell an ihre Grenzen. «Auch mangelt es dann oft an Übersichtlichkeit», erklärt Patrick Labud, Senior Consultant und Mitglied des CTO-Boards bei bbv. «Ab einer bestimmten Vielfalt an Szenarien, auf welche die Anwendung unterschiedlich reagieren soll, werden Low-Code- und No-Code-Plattformen sehr unübersichtlich und kaum noch lesbar. Hier noch Fehler zu finden und zu beheben, ist äusserst aufwendig.»

Auch die Integration der Anwendung kann sich unter Umständen als schwierig erweisen. Es gibt keine Garantie dafür, dass die entsprechende Low- oder No-Code-Plattform die für die Integration erforderlichen APIs tatsächlich unterstützt – weshalb Citizen Developers hier unter Umständen wieder auf die Hilfe eines erfahrenen Entwicklers angewiesen sind. Und zu guter Letzt stehen (Laien-) Entwicklern Low-Code- und No-Code-Plattformen verschiedenster Anbieter zu Verfügung – die sich in ihrem Funktionsumfang teils stark unterscheiden. Deshalb müssen die verschiedenen Angebote zwingend evaluiert werden und der Einsatzzweck klar sein, bevor man seine Geschäftsanwendung mit Low Code oder No Code entwickelt. «Das englische Sprichwort ‹A fool with a tool is still a fool› gilt auch bei Low Code und No Code», hält Labud fest. «Wer nicht genau weiss, was die eigene Anwendung bezwecken soll und ob sie mittels Low Code oder No Code tatsächlich umgesetzt werden kann, dem werden die beiden Entwicklungsmethoden auch nicht weiterhelfen.»

Low Code und No Code mitdenken

Somit steht fest: Low Code und No Code können den erfahrenen Programmierer nicht vollends ersetzen. Gerade für komplexe Anwendungen mit besonderen individuellen Anforderungen kommen professionellen Entwicklern nach wie vor eine Schlüsselrolle zu. Ihnen stehen Low-Code- und No-Code-Plattformen schliesslich als wichtiges Tool zur Verfügung, um Anwendungen schneller zu entwickeln und bereitzustellen.

Doch auch sonst sollten sie sich mit Low Code und No Code auseinandersetzen – indem sie den Endnutzer befähigen, selbst kleinere Änderungen an ihrem System vornehmen zu können. «Als Entwickler von Individualsoftware versuchen wir bei bbv Lösungen so zu entwerfen, dass unsere Kunden sie für sich adaptieren und bis zu einem gewissen Grad selbst anpassen können, ohne uns jedes Mal beauftragen zu müssen», sagt Patrick Labud. Dies erfordere ein sehr gutes Verständnis der Domäne und der Nutzer des Softwaresystems. Doch steigt damit auch die Servicequalität für den Kunden – eines der wenigen Dinge, mit denen sich Software-Dienstleister heute noch am Markt differenzieren können.

Der Experte

Patrick Labud

Patrick Labud ist als Senior Consultant für das Thema User Experience bei bbv tätig. Mit dem Ziel «glückliche User» unterstützt er Firmen dabei, UX in IT-Projekte zu integrieren. Für das Thema User Experience engagiert er sich zusätzlich in der Fachgruppe UX der Swiss ICT.

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